Was ist eine Intervention bei Markus Hofer?
Manfred Wiplinger; 2008
…in der Folge aber, wenn ich bei diesen Dingen zu stehen komme, wende ich ihnen schnell wieder den Rücken, aus Furcht, hier in einen wahren Abgrund der Albernheit zu versinken und darin umzukommen; und wenn ich dagegen wieder dann bei jenen angelangt bin, von denen wir soeben behaupteten, es gebe von ihnen Ideen, so beschäftige ich mich gern mit ihnen und verweile bei ihnen mit Freuden.
Platon, Parmenides
Erscheinung, Materialität
Vor kurzem war in einer Kunstzeitschrift von folgendem Experiment die Rede:
Der belgische Künstler Luc Tuymans malte an einer Hausfassade eines
seiner erfolgreichen Bilder nochmals nach. Ein Fernsehsender beobachtet versteckt
die Wirkung auf die vorbei schreitenden Passanten. Ein ernüchterndes
Ergebnis für die Wirkung der Kunst, denn nur vier Prozent der Menschen
würdigt würdigen dem Werk einen Blick und verweilt verweilen einen
Augenblick.
Die Interventionen von Markus Hofer sind von vornherein nicht
als Kunstexperiment gedacht, laden auch nicht vordergründig zum Verweilen
ein und sind nicht von der Reaktion einer Öffentlichkeit vor Ort abhängig.
Auch in Ausstellungssituationen entwirft der Künstler immer wieder kleine
Eingriffe in die vorhandene Bausubstanz, die in letzter Zeit auch außerhalb
ausprobiert werden. Diese Interventionen verstehen sich noch immer als Skulpturen,
die allerdings schon einem erweiterten Begriff von Skulptur zugeordnet werden
müssen.
Mit dezidierten Interventionen im öffentlichen Raum beschäftigen
sich nun zwei jüngere Projekte: die Waidhofner Interventionen und die
Interventi Bolognesi. Die Vorgehensweise von Markus Hofer ist bei beiden äquivalent.
Im jeweiligen Stadtraum werden für Fremde sonderbare räumliche
Situationen und Auffälligkeiten gesucht, die durch minimale Eingriffe
verändert werden. Es sind dabei keineswegs die spektakulären Attraktionen,
die gesucht werden, sondern oft marginale Architekturen, Details der Fassadengestaltung
oder bereits vorhandene Kunsthandwerkselement. Die Eingriffe können
aus gefundenem Material gefertigt werden (Change your Grave), Schrift verwenden
(Now or Never) oder auf bisheriges Repertoire (Public Library) zurückgreifen.
Die Orte sind variabel gewählt. So erfahren unter anderem Verkehrsschilderstangen,
ornamentale Schutzgitter aus Metall, Möbel, Engelsstatuen oder Inschriften
einen Bedeutungswechsel. Mit geringem Materialaufwand, wenig Zeitaufwand
und der Verwendung vorgefundener Materialien werden so äußerst
schnelle Ergebnisse erzielt.
Anspruch, Wirkung
Ein früheres Beispiel: Auf einem kleinen Stromhäuschen, nicht
größer als 1x1m, robuster Zweckbau, wird ein Schornstein montiert.
Ein vertrautes Schema der Einfamilienhausarchitektur verwandelt das Stromhäuschen
vom Nicht-Ort zum architektonischen Objekt. In aktuellen Debatten wird auch
gerne von performativer Architektur gesprochen. Jetzt verhält es sich
auf Seiten der Rezipienten so: Dieses zusätzliche Objekt kann, muss
aber nicht sofort wahrgenommen werden. Alle Betrachter, die vielleicht sogar
täglich an diesem Stromhäuschen vorbeigehen und dieses im Idealfall
plötzlich bemerken, können aber von dem Hoferschen Zubau irritiert
werden, diesen für selbstverständlich oder sogar für notwendig
halten. Die persönliche Wahrnehmung gerät in dem Moment ins Wanken,
wo die bisherige Erfahrung des Objektes mit der aktuellen nicht mehr in Einklang
gebracht werden kann. Eine alltägliche Erwartung wurde nicht erfüllt,
nun sollte man das gesehene einordnen. Irritation macht sich breit; ein Schelmenstreich,
ein Witz oder doch sinnvolle Ergänzung zu einem bestimmten Zweck, eine
neue bauliche Vorschrift. Ohne Erklärung ist der Betrachter auf sich
selbst zurückgeworfen und muss eine für sich gültige Interpretation
wagen. Das jeweilige Objekt erweitert das Verständnis, das ja zuerst
von demselben verstört wurde. Die Referenzsituation ist so nicht mehr
eindeutig zu klären, denn auch wenn man irgendwann zu dem Schluss kommt,
dass es sich um einen künstlerischen Eingriff handelt, bezieht sich
die Intervention nicht mehr auf das Objekt, sondern auf den Akt des Eingriffs
selbst.
Nachbarschaften
Ein wichtiger Punkt bei der Zuordnung der Interventionen ist die Herangehensweise
von Markus Hofer. Oft werden diese aufgebaut, fotografiert und gleich wieder
zurückgenommen, sie existieren fortan nur als Dokumentation. Auch wird
der Zustand kontrolliert und gegebenenfalls bei Verschleißerscheinungen
das Objekt wieder demontiert. Es besteht kein Anspruch auf Ewigkeit, der
Raum, den diese Skulpturen einnehmen, soll durch diese gar nicht dauerhaft
körperlich besetzt werden und auf keinen Fall sollen durch die Eingriffe
die veränderten Orte in irgendeiner Art beschädigt werden. Auch
die Zerstörung oder der dreiste Diebstahl sind mit einkalkuliert. Allein
durch die räumlichen Situationen der Interventionen, die Lage im Freien,
kommen zwei verwandte großen Bereichen der zeitgenössischen Kunst
in den Sinn. Die von mir jetzt pauschal genannte Kunst im öffentlichen
Raum und die Street Art. Kunst im öffentlichen Raum (oder auch Kunst
am Bau und ähnliche Richtungen), wie ich sie hier verstanden wissen
will, wird oft als Auftragwerk installiert und verfolgt divergierende Interessen
der Auftraggeber: Verschönerung, Mahnung, Pädagogik, Herabsetzen
der Hemmschwelle mit Kunst. Institutionen und Behörden geben diese in
Auftrag, bringen Ort und Künstler in Einklang. Verschiedenste Interessen
wie Städteplanung, Diversifikation oder Mäzenatentum geben die
Richtung vor und definieren so den zu bespielenden Ort bereits im Voraus.
Die Interessen der Künstler können in verschiedene Richtungen gehen.
Irritation, Transformation der Architektur, usw… Auch die Arbeit von
Markus Hofer ist in diesem Sinn Auftragsarbeit. Die Orte sind allerdings
frei gewählt, es wurden auch keine Interventionen bestellt. Auf der
anderen, nicht offiziell unterstützen Seite steht die Street Art. Bekannte
Ausformungen der doch sehr heterogenen Szene sind Graffiti, Schablonenspray,
aber auch Interventionen an öffentlichen Objekten. Die Gestaltung des öffentlichen
Raumes ist dabei oft Motiv, das verwendete Medium die Botschaft. Sich den
Raum bewusst anzueignen und für seine Zwecke in Anspruch zu nehmen ist
eines der Charakteristika der Street Art.
Durch das unterschiedliche Selbstbild
der Szene ist die Motivation der einzelnen Künstler nicht immer leicht
zu trennen. Das Selbstverständnis als Künstler ist nicht automatisch
vorauszusetzen, da die Ziele meist keine rein künstlerischen sind. Jugendkultur,
sozialer Ausdruck, Revierabgrenzung. Als Subkultur gestartet, stellen prominente
Vertreter heute längst in Galerien aus und sind bestens am Kunstmarkt
etabliert. Dieser Teil der Szene, der eine gewisse Nähe zum Kunstbetrieb
aufweist, geht teilweise mit Markus Hofer gleich: Die Rückeroberung
und Neudefinition des urbanen Raumes, Rebellion und Abgrenzung zum etablierten
Kunstmarkt. (Denn auch die Interventionen von Markus Hofer funktionieren
nur dort, in der vorher kunstlosen Umgebung, im Galerieraum irritieren sie
gar niemanden, dort rechnet man sowieso mit ihnen.) Aus beiden Richtungen
zieht Markus Hofer Anspielungen, verändert deren Ideen und benützt
Techniken und Materialien. Gleichzeitig besteht zu beiden Richtungen eine
vornehme Distanz, den Spielraum bestimmt Markus Hofer bei jeder neuen Intervention.