Markus Hofer: Interventionen
Herbert Justnik ; 2008
Das lateinische Wort “intervenio” kann mit “dazwischentreten” oder “unterbrechen” übersetzt
werden. Markus Hofer öffnet mit seinen Interventionen kleine Spalten
in der Wahrnehmung des Alltäglichen, in die er seine erhellenden Bildwitze
einfügt. Einer Hausnummer wird normalerweise keine weitere Aufmerksamkeit
geschenkt, sobald man mit ihrer Hilfe den gesuchten Ort gefunden hat. Bei
Hofers Intervention (La Dotta, aus der Serie Interventi Bolognesi) allerdings
wird diese Funktion unterbrochen, indem er auf die Mehrdeutigkeit der italienischen
Version der Markierung von mehreren Hauseingängen hinweist. 86 hoch
2, das was bei uns 86b ist, liest er als eine mathematische Anweisung und
rechnet sie aus. Er macht damit eine Doppeldeutigkeit sichtbar, die immer
schon vorhanden ist, aber nicht der Funktion der Kennzeichnung eines Hauseinganges
entspricht. Indem die Wegsuchenden mit dieser Intervention konfrontiert werden,
wird die tagtägliche Semiose (der Prozess der Wirkungsentfaltung eines
Zeichens) unterbrochen, das Zeichen löst sich von seiner Funktion und
bringt den Ablauf des Alltäglichen ins Stocken. Einen Eingriff, den
Markus Hofer auf zwei Ebenen vornimmt:. Einerseits gibt es die Klebestreifen
neben der Hausnummer des Hauses 86 in der Via del Prette in Bologna. Menschen,
die diese Hausnummer suchen, werden dadurch irritiert und gezwungen eine
Störung gedanklich zu bearbeiten. Von diesem konkreten Ort der Irritation
löst er diese Beobachtung jedoch auch ab, indem er eine Fotografie davon
macht und sie in Ausstellungsräume trägt. In Bologna selbst werden
die BewohnerInnen der Stadt wieder auf ein im Alltag nicht beachtetes Phänomen
hingewiesen.
Markus Hofer zeigt mit La Dotta eine kulturelle Differenz in Zeichensystemen
auf, die für eine nicht in den jeweiligen Kulturkontext eingebundene
BetrachterIn wie ein Kuriosum erscheint, das Schmunzeln macht. Hier wird
deutlich, dass erst durch das Mittel der Distanznahme weitere Sinnebenen
bei sonst unhinterfragten Selbstverständlichkeiten sichtbar werden.
Bohrten wir im Fall von La Dotta tiefer, tauchten hier sicherlich noch andere,
weitreichendere kulturelle Unterschiede in den Markierungssystemen auf.
Für die BetrachterIn außerhalb Italiens, wo die Nummerierung anders
funktioniert, wird hier auf ein Kuriosum hingewiesen, das uns Schmunzeln
macht. Bohrten wir allerdings tiefer, tauchten hier sicherlich noch andere
kulturelle Unterschiede in den Markierungssystemen auf.
Hofers Interventionen stellen aber noch auf einer anderen Ebene eine Irritation
dar. Während der Projektlaufzeiten, zu denen sie im öffentlichen
Raum präsentiert werden, haben Informierte ZeitgenossInnen, die in der
Wahrnehmung der Spielarten des Kunstbetriebes geübt sind, die Möglichkeit,
sie auchdort im Öffentlichen Raum als Kunstwerke wahrzunehmen. Für
Uninformierte steht dahingegen der Witz einer absurden Geste eher ihr absurder
Witz im Vordergrund. Sie werden an den Stellen, an denen Markus Hofer sie
anbringt, nicht institutionalisiert - – ein Prozess, der erst über
die Fotografie von statten geht. Sie stehen nicht wie Denkmäler oder
Kunst im öffentlichen Raum unter Schutz und einer gelenkten Form von
Aufmerksamkeit, sondern sind ganz sich selbst überlassen, ähnlich
den vordergründig autorenlosen Graffitis. Im Kunstraum hingegen werden
sie für alle zu konkreten Werken, bei denen der gesamte kunstbetriebliche
Diskurs losgeht.
Bei Markus Hofers Interventionen spielen die dabei entstehenden Fotografien
eine besonderedie bestimmende Rolle. Sie sind nicht einfach nur Dokumentation
eines im öffentlichen Raum temporär inszenierten Kunstwerkes, sie
sind oft sogar das eigentliche Kunstwerk – zumindest dasjenige, auf
das Hofer Wert legt. Einige der Interventionen werden nur für die Fotografie
aufgebaut, und danach wieder weggeräumt. Es bleibt nur das Foto. Bleibt
der Eingriff längere Zeit bestehen, stellt er ein Phänomen dar,
das seine Wirksamkeit auch ohne die Fotografie entfalten kann. Die absurden
Brechungen des Alltäglichen, um die es Hofer meist geht, sind auch über
die Fotografie nachzuvollziehen. Manchmal werden diese sogar erst über
die Titel der Fotografien erzeugt, funktionieren also nur über die Bilder.
Bei den nur für die fotografische Aufnahme inszenierten Objekten wird ändert
das immer noch so wichtige Kriterium der Bezugnahme auf den realen Ort nicht
mehr ganz so wichtigseine Bedeutung. Interessant erscheint hier der konkrete
Ort nur für diejenigen, die ihn kennen und deren Aufmerksamkeit nun
auf Dinge und deren Mehrdeutigkeiten gelenkt wird, die sonst außerhalb
des alltäglichen Fokus liegen. Dementsprechend eng ist auch der Ausschnitt,
den Hofer wählt, es fehlen größere Kontexte, die die Plätze
der Interventionen leichter verorten ließen.
Liest man nun diese Fotografien innerhalb von Hofers restlichem Werk, so
merkt man ihnen eine gewisse Verwandtschaft mit seinen Skulpturen an. Nicht
nur die Interventionen selbst nutzen die gleichen Destabilisierungs- und
Verfremdungseffekte wie die Skulpturen. Auch die Fotografien tun dies auf
einer weiteren Ebene. Sie lösen sich mit der nicht mehr vorhandenen
Referenz vom dokumentarischen Charakter los und werden zu Simulakren –-
. Bilder, die zwar von einem konkreten Ort beeinflusst sind, aber losgelöst
von diesem ein Eigenleben führen. Über den Begriff des Index – ein
Zeichen, das durch eine physische Verbindung des Bezeichnenden mit dem Bezeichneten
funktioniert (Rauch ist ein Zeichen für Feuer) – bekommen Markus
Hofers Bilder einen imaginären Zugriff auf das Reale. Auch wenn die
Bücher, die er im Spalt zwischen zwei Häusern als Bibliothek im öffentlichen
Raum inszeniert hat, längst schon wieder verschwunden sind, “lebt” diese
Inszenierung in der Fotografie noch weiter. (TitelPublic Library (Galerie),
aus der Serie Waidhofner Interventionen). Die Aufnahme ist der “Beweis”,
dass sie dort anwesend waren. Ob sie noch dort stehen, ist für die BetrachterIn
der Fotografie nicht mehr nachvollziehbar und für die Wahrnehmung der
absurden Situation nicht wichtig, sie funktioniert auch allein über
das Bild. Sie braucht zwar den Bezug auf den realen öffentlichen Raum,
Bücher, die unerreichbar für die eventuellen Benutzer herumstehen,
aber nur in der Fotografie, der dargestellte Ort selbst ist gegenstandslos.
Das Spannungsfeld zwischen sinnvollem Angebot für BenutzerInnen des öffentlichen
Raumes – uneingeschränkte Verfügbarkeit von Wissen als Traum
der Aufklärung – und der Unmöglichkeit es auch zu nutzen,
da die Bücher nicht zugänglich sind – die realen Hürden
beim Bildungszugang spiegelnd –, ist für die BetrachterIn auch
allein im Bild erlebbar.
Herbert Justnik
* 1974
Kurator für Fotografieund Leiter der Fotosammlung am Österreichischen
Museum für Volkskunde, Wien